Sicher bauen nach dem Erdbeben
Deutsche Unternehmen engagieren sich für den Wiederaufbau in der Türkei. Philip Jokić von der Deutschen Industrie- und Handelskammer zieht eine erste Bilanz.

Herr Jokić, wie haben die Mitgliedsunternehmen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) auf das Erdbeben 2023 reagiert?
Viele haben sich spontan an Hilfseinsätzen beteiligt oder Geld gespendet. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind sehr eng. Die rund 8.000 deutschen Unternehmen, die in der Türkei ansässig sind, haben elf Millionen Euro Spenden aufgebracht. Unter den fast vier Millionen Menschen mit türkischem Familienhintergrund in Deutschland sind auch zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer. Um die große Hilfsbereitschaft zu koordinieren, hat die DIHK eine eigene Stelle eingerichtet. Bereits wenige Monate nach dem Erdbeben haben wir gemeinsam mit der Union der Kammern und Börsen der Türkei (TOBB), der Auslandshandelskammer (AHK) Türkei und der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer (TD-IHK) eine erste Wiederaufbaukonferenz in Berlin veranstaltet.
Was können deutsche Unternehmen neben Spenden zum Wiederaufbau beitragen?
Ihr Fachwissen und Know-how, unter anderem zum erdbebensicheren Bauen oder zur Katastrophenvorsorge. Insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Bau, Energie, Sicherheit, Infrastruktur und Agrarwirtschaft können sich aktiv beteiligen. Die Aufgabe der Kammern war und ist vor allem, Kontakte zwischen Unternehmen und den kommunalen Akteuren in den Erdbebengebieten herzustellen.

Was wurde bisher durch die Zusammenarbeit erreicht?
Die Bilanz ist gemischt. Viele deutsche Unternehmen haben sich auf beeindruckende Weise engagiert – etwa durch Sachspenden wie Prothesen, durch Stipendien und Mentoring-Programme für Studierende aus den betroffenen Regionen oder durch die Bereitstellung von Maschinen und Baumaterial für den Wiederaufbau. Auch auf institutioneller Ebene gab es vielfältige Ansätze, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Gleichzeitig zeigt sich vor Ort, dass der Wiederaufbau eine enorme Herausforderung bleibt. Ein Großteil der zugesagten Bauprojekte in den Erdbebenregionen befindet sich noch in der Umsetzung. Zehntausende Menschen leben weiterhin in provisorischen Unterkünften, es mangelt an Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäusern. Diese Eindrücke haben sich bei unserer zweiten Wiederaufbaukonferenz im November 2024 in Gaziantep bestätigt. Besonders eindrücklich war ein Besuch in Hatay, wo die Zerstörungen noch immer sichtbar sind – so sehr, dass eine mitgereiste Unternehmerin aus Berlin die Stadt ihrer Kindheit kaum wiedererkannte. Sie engagiert sich inzwischen für den Wiederaufbau einer zerstörten orthodoxen Kirche in Hatay.
Der Wiederaufbau bleibt eine enorme Herausforderung.
Kann die Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen den Erdbebenregionen langfristig neue Impulse geben?
Das ist auf jeden Fall unser Ziel. Der Südosten der Türkei ist weit weniger entwickelt als der Westen, wo die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen angesiedelt ist. Dabei hat die Region großes Potenzial: Die Kosten für Personal und für Grundstücke sind sehr viel niedriger und es gibt viele junge, gut ausgebildete Menschen. Das Engagement für den Wiederaufbau beginnt zwei Jahre nach dem Erdbeben etwas zu erlahmen. Trotzdem werben wir bei unseren Mitgliedsunternehmen weiter für Partnerschaften mit dem Südosten der Türkei, die auch die deutsche Wirtschaft stärken können.
Erst im April 2025 hat in Istanbul die Erde gebebt. Welche Rolle können deutsche Unternehmen bei der Katastrophenvorsorge spielen?
Istanbul muss sich für das große Erdbeben wappnen, das nach Meinung von Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren zu erwarten ist. Die Frage, wie man geeignete Strukturen schaffen kann, um die Schäden möglichst gering zu halten, beschäftigt auch die Wirtschaftskammern. Im September 2024 hat die AHK Türkei gemeinsam mit Germany Trade & Invest (GTAI) ein Markterkundungsprojekt zum Thema „Zivile Sicherheit mit Fokus auf Erdbebensicherheit und Katastrophenschutz“ für kleine und mittelständische deutsche Sicherheitsunternehmen organisiert. Es geht unter anderem um Warnsysteme von Sirenen bis Apps und darum, die technische Ausrüstung von Feuerwehren und Einheiten zum Katastrophenmanagement auf den neuesten Stand zu bringen. Die Erdbebensicherheit bleibt in unserer Zusammenarbeit mit der Türkei ein wichtiges Thema.